Rede auf Friedenskundgebung am 02. März 2022 in Bautzen
Im Folgenden dokumentiere ich mein Redemanuskript, das ich bei meiner Rede auf dem Hauptmarkt in Bautzen am 02. März 2022 anlässlich der Friedenskundgebung des Kreisverbandes DIE LINKE. Bautzen genutzt habe. Der Wortlaut der Rede entsprach nach meiner Erinnerung nahezu identisch dem Manuskript.
Liebe Bautznerinnen und Bautzner
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Friedensbewegte.
Eine der großen Schwierigkeiten in der Vorbereitung für die heutige Versammlung für mich war, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Die Ereignisse der letzten Woche, alles was seit dem 24. Februar passiert ist, lassen mich in vielerlei Hinsicht sprachlos zurück. Und auch wenn ich jetzt zu Ihnen, zu Euch, spreche, dann hadere ich und suche nach Worten, die sich richtig anfühlen.
Es ist viel von Zeitenwende die Rede seit einer Woche und ja, ich glaube, dass dies zutrifft. Es gibt Momente, bei denen man auch viele Jahre später noch weiß, wo man war, als dieses oder jenes Ereignis eintrat und man erstmals davon hörte. Für die etwas älteren mag das zum Beispiel beim Mauerfalls so gewesen sein, für Menschen meiner Generation war es sicher der Fall der TwinTowers in New York 2001. Nun gibt es ein weiteres dieser Daten. Der 24. Februar wird als Ausbruchsdatum eines Krieges in die Geschichte eingehen und wir wissen Stand heute noch nicht, welche Dimensionen dieser Krieg annehmen wird. Es ist auf ein schnelles Ende zu hoffen — aber auch das schlimmste zu befürchten.
Ich persönlich kann sagen: ich wollte an diesem Abend gerade ins Bett gehen, als eine Eilmeldung auf meinem Handy aufploppte, in der der russischen Angriff auf die Ukraine gemeldet wurde. Alle Müdigkeit war verflogen, stattdessen setzte eine sorgenvolle Grundstimmung bei mir ein, die bis jetzt anhält.
Sorgen um die Menschen in der Ukraine, natürlich. Aber sind wir ehrlich: im ersten Moment denkt man an sich und die eigene Familie. Was bedeutet ein Krieg, nur ein paar Autostunden von uns entfernt eigentlich für uns? Seit Jahren sprechen meine Frau und ich immer mal wieder davon, ob es nicht sinnvoll wäre, sich einen Exit-Plan zurecht zu legen. Bislang immer vor dem Hintergrund einer rechten, antidemokratischen Machtübernahme in Deutschland. Nun kommt eine weitere, ebenso existenzielle Bedrohung dazu. Wie lange ist es im Sinne unserer Kinder verantwortbar, die Gefahr für uns als gering einzuschätzen? Und wann muss man die Flucht ergreifen, damit man nicht Tage, Wochen oder Monate später bereut, nicht rechtzeitig gegangen zu sein? Und wohin will man fliehen, wenn der Krieg hier anzukommen droht? Dass man solche Fragen überhaupt wieder denken muss, macht mich alleine schon unfassbar schwermütig.
Deswegen ist es mir auch so wichtig, dass wir Formen finden, zusammen zu stehen und uns gegenseitig zu bestärken. Denn ich denke, es geht hier vielen so. Dass sie nicht nur mit Bestürzung in die Ukraine schauen, sondern auch mit Sorge und Angst. Diese Sorgen und Ängste auszusprechen und zu teilen, ist hoffentlich ein Anfang dafür, sie besser aushalten zu können. Und gemeinsam nach den nun richtigen Lösungen zu suchen, um die Ursache dieser Sorgen und Ängste – nämlich den Krieg – zu überwinden. Um Frieden zu erlangen!
Wenn es um eine Zeitenwende geht, gibt es ein Davor und ein Danach. Es wäre als Vertreter meiner Partei nicht redlich, das Davor nun einfach wegzulassen und darüber nicht zu sprechen. Das hat DIE LINKE nicht exklusiv, aber zuerst gilt es immer sich an die eigene Nase zu fassen. Deswegen will ich das tun.
Ja, DIE LINKE in Gänze und ich gebe zu, auch ich persönlich, hat in der Zeit vor dem 24. Februar eine Fehleinschätzung vorgenommen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Putin die Kosten einer Aggression tatsächlich einkalkuliert und diesen Schritt geht. Eine wirklich fatale Fehleinschätzung.
Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dass DIE LINKE klar Position bezieht. Und das haben wir ja auch schon getan, egal ob Parteivorstand und Vorsitzende oder die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, zahlreiche weitere Gremien und Mandatsträger*innen. Es darf hier keine Zweifel geben und deswegen will ich das als Kreisvorsitzender auch für den Kreisverband Bautzen nochmal in aller Deutlichkeit sagen:
Es gibt keine Rechtfertigung für einen Angriff auf einen souveränen Staat durch eine militärische Aggression. Keine! Und wer Aggressor in diesem Fall ist, ist aus unserer Sicht unstrittig: es ist Russland und in Verantwortung dafür steht der russische Präsident Vladimir Putin. In dem Moment, in dem der erste russische Soldat auf Befehl Putins bewaffnet den Fuß auf ukrainisches Territorium gesetzt hat, in dem Moment, in dem der erste Schuss auf ukrainische Soldat*innen fiel, die erste Rakete abgeschossen wurde, aller aller spätestens in dem Moment, in dem erste unschuldige Zivilist*innen unter Beschuss gerieten, ist jeglicher Rechtfertigungsversuch hinfällig. Deswegen ist die erste und wichtigste Forderung ganz klar und deutlich zu benennen: Russland, Putin, muss diese Aggression umgehend stoppen. Die russische Armee muss sich umgehend aus der Ukraine zurückziehen. Das Töten muss enden! Die Waffen nieder!
Ausrufezeichen. Leerzeile. Kein Aber!
Am Montag hat unsere Parteivorsitzende Janine Wissler in Berlin aus meiner Sicht sehr gut klar gestellt, wo DIE LINKE daher steht. Sie sagte, dass schon in der Vergangenheit galt, dass aus Sicht der LINKEN Putin kein politischer Verbündeter sein konnte. Weder innen- noch außenpolitisch betrieb er in der Vergangenheit eine Politik, die auch nur in Ansätzen mit linken Inhalten, sowie DIE LINKE sie versteht, vereinbar wären. Aufrüstung und militärische Einsätze nach Außen, Unterdrückung und Unfreiheit nach Innen – so lässt sich Putinsche Politik charakterisieren. Das genaue Gegenteil von dem, was wir unter Links verstehen.
Worauf wir aber in der Vergangenheit immer hingewiesen haben, war die Perspektive Russlands mit in Debatten einzubeziehen. Dabei gab es Mitglieder in unserer Partei – auch in prominenten Positionen – die dabei zu unkritisch und mit zu wenig Distanz gegenüber Russland agierten und ja, dies noch immer tun – trotz allem. Ich finde das falsch und es entspricht, dass ist das wichtigste, nicht den demokratisch und mit großen Mehrheiten gefassten Beschlüssen unserer Partei. Ich will hier aber auch klar sagen: dies ist kein exklusives LINKE-Problem. Das beweist unter anderem Gerhard Schröder in der SPD oder der sächsische Ministerpräsident Kretzschmer in der CDU. Das macht es aber nicht weniger problematisch.
Deshalb eine weitere klare Aussage für DIE LINKE. im Kreis Bautzen: Wir stehen als LINKE solidarisch an der Seite der Menschen in der Ukraine, die jetzt durch die russische Aggression bedroht sind und um ihr Leben fürchten und ihr Land verteidigen. Wir stehen gleichermaßen solidarisch an der Seite all jener Menschen in Russland, die unter hohem persönlichen Einsatz für Frieden eintreten – selbst wenn sie dafür massiven Repressionen ausgesetzt sind. DIE LINKE steht immer an der Seite jener, die für den Frieden streiten! Und niemals an der Seite derer, die Krieg führen! Unmissverständlich.
Seit einer Woche herrscht also Krieg und es stellt sich die drängende Frage, wie wir zurück zum Frieden kommen. Der Bundestag und die Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen haben am vergangenen Sonntag zwei Entscheidungen dazu getroffen, die wir als LINKE für grundlegend falsch und ungeeignet halten. Deutschland entsendet Waffen in das Krisengebiet. Und die Bundeswehr soll künftig mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und einem jährlichen Budget von über 80 Milliarden Euro aufgerüstet werden.
Wir sind mit unserer Position, gerade zu den Waffenlieferungen, natürlich nun in einer schwierigen Situation. Denn natürlich wissen auch wir, dass der Ukraine gerade Solidaritätsadressen und warme Worte nicht weiter helfen, um den russischen Angriff abzuwehren. Ob die Sanktionen dazu beitragen, ist zumindest kurzfristig auch sehr fraglich. Bislang zumindest bewirken sie nicht genug Druck auf Putin.
Es ist daher vielleicht schwer auszuhalten und auch schwer verständlich, warum wir hier so kategorisch bei einem Nein zu Waffenlieferungen bleiben. Aber mehr Waffen schaffen eben keinen Frieden, davon sind wir überzeugt. Und in welche Hände Waffen in einem Krisengebiet am Ende gelangen, kann mit Sicherheit niemand sagen. Nur eines ist sicher: Waffenlieferungen freuen die Rüstungskonzerne und der Aktionär*innen. Das Geschäft mit dem Tod floriert in Kriegszeiten. Deswegen bleiben wir dabei: Waffenlieferungen sind der falsche Weg.
Während ich in der Frage der Waffenlieferungen aber die Diskussion noch sehr gut verstehen kann, fällt mir das beim Paradigmenwechsel hin zur Aufrüstung extrem schwer. Bereits in den letzten 5 Jahren ist der Etat der Bundeswehr um 40% gestiegen. Die NATO hat mit dem 2%-Ziel ihre Militärausgaben insgesamt vervielfacht. Für Deutschland bedeutet die künftige Einhaltung dieses 2%-Zieles eine nahezu Verdopplung der jährlichen Militärausgaben plus das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Nur um in der Relation klar zu bleiben: 100 Milliarden Euro — Das sind mehr als zwei Kohleausstiege.
Doch all das Geld aus der Vergangenheit hat doch die Welt nicht zu einem sichereren Ort gemacht. Warum sollte noch mehr Geld für Waffen das nun erreichen? Es hat die russissche Aggression jetzt nicht verhindert und im Gegenteil noch dazu geführt, dass sich nun wieder – wie vor über 30 Jahren – zwei hochgerüstete Militärblöcke gegenüberstehen. Noch dazu löst eine Aufrüstungsspirale die Gefahr aus, Russland und China in ein Bündnis zu drängen, dass dann nur zu noch mehr gegenseitiger Aufrüstung führen würde. Eine tödliche Spirale käme in Gang – die in dem Moment ihre Todeskraft entfaltete, wo eine Seite auch nur einen fatalen Fehler beginge. Ich will an dieser Stelle nur mal den Gedanken äußern: Das jetzt ein Joe Biden und nicht ein Donald Trump im Weißen Haus sitzt, nimmt mir zumindest eine Sorge ab. Denn mit dem Verrückten Trump wäre der rote Knopf in Washington längst gedrückt worden und die Welt fiele schon in den Abgrund – dessen bin ich mir sicher.
Nein, Aufrüstung kann nicht der richtige Weg sein. Wir müssen diese Logik der sich gegenüberstehenden Machtblöcke, die sich militärisch gegenseitig abschrecken wollen, endlich durchbrechen. So unvorstellbar das also angesichts eines gerade geführten Krieges klingen mag, so utopistisch es sich anhören muss: Abrüstung ist der Weg zu Frieden! Die Waffen nieder! Dauerhaft!
Ich will abschließend noch auf etwas hinweisen, dass für die selbsternannte westliche Welt nun angesichts des Krieges in der Ukraine schmerzhaft offensichtlich geworden ist und das aus meiner Sicht ebenso schwer erträglich ist, wie die Bilder aus der Ukraine es gerade sind: es ist die Doppelmoral der politisch Verantwortlichen hier, seit Jahrzehnten.
Ich will auch hier gar keinen Interpretationsspielraum lassen und zuerst ganz klar sagen: ja, natürlich müssen wir jetzt alle aus der Ukraine fliehenden Menschen hier aufnehmen. Ich finde sogar, wie sollten noch weiter gehen: Deutschland sollte aktiv vor Ort helfen und Menschen, die fliehen wollen, vor Ort abholen. Es kann doch nicht sein, dass dies nun auch noch von vielen Mutigen und sich aufopfernden Ehrenamtlichen und Freiwilligen geschultert wird. Die sich selbst auf den Weg an die polnisch-ukrainische Grenze machen. Die Bundesregierung sollte hier ein paar hundert Busse chartern und sie losschicken, umgehend.
Und dann sollte es schnell ein Programm geben, dass jedem Soldaten, insbesondere allen Russischen, der die Waffen niederlegt und einfach geht, gesichertes Asyl und eine Prämie in attraktiver Höhe zusichert.
Die Doppelmoral auf die ich aber hinaus will: Während jetzt alle Welt und insbesondere die europäischen Regierungen Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ganz praktisch ergreifen, verwehren wir andernorts Menschen, die aus den absolut gleichen Gründen auf der Flucht sind, seit Jahren die selbe Behandlung. Flüchtende aus Syrien, Afghanistan oder dem Jemen, Flüchtende die vor Gewalt in Eritrea, Mali, Lybien oder anderen afrikanischen Staaten fliehen, ertrinken weiter im Mittelmeer. Jeden verdammten Tag! Und selbst wenn sie hier ankommen, verwehren wir vielen von Ihnen das gewünschte Asyl und schicken sie zurück in den Tod. Deutsche Bundesregierungen schauen seit Jahren den Kriegen im Jemen oder Syrien mehr oder weniger gleichgültig zu. Keine Sondersitzungen des Bundestages, keine Kurswechsel, aber auch keine großen Friedensdemos, keine weltweite Empörung. Keine Friedensinitiativen, keine Vermittlungsversuche. Selbst wenn die Türkei, ein NATO-Mitglied, Kurdinnen und Kurden mit Nato-Waffen unterdrückt und bekämpft und in Syrien mitmischt, gibt es keinen Aufschrei, keine Konsequenzen.
Woran das liegt? Nun, eine Sache liegt nahe: die einen sind weiße Flüchtende aus einem christlich-geprägten Land, die anderen eben nicht. Wer behauptet, dass Rassismus nicht der profane Grund für diese scheinheilige Doppelmoral im selbsternannten christlichen Abendland ist, möge mir eine überzeugendere Theorie nennen!
Was ich damit sagen will: das, was jetzt für die Ukraine richtig ist, ist in allen anderen Fällen nicht falsch. Nein, es ist vielmehr unbedingt nötig! In Frieden zu leben, ist das Recht aller Menschen. Wir können Frieden nicht richtigerweise an einer Stelle einfordern und an anderer Stelle weg sehen.
Wenn der 24. Februar nun also eine Zeitenwende ist und danach alles anders sein soll als zuvor. Wenn diese Zeitenwende neue politische Prämissen bedeutet. Wenn es nun wieder eine Friedensbewegung gibt, was ich sehr begrüßen würde. Wenn wir als DIE LINKE weiter Friedenspartei sein wollen – und das wollen wir. Wenn Menschen nun endlich wirklich für den Frieden etwas tun wollen – Dann rufe ich dazu auf, für den Frieden in der Ukraine und überall auf der Welt gleichermaßen einzutreten. Und solange nicht zu ruhen, bis jeglicher Krieg beendet ist, weltweite Abrüstung Realität und eine friedliche Konfliktlösung weltweit etabliert.
Die Waffen nieder! Jederzeit und überall!